Erfahrungsbericht zum Krisentelefon München beim Amoklauf am 22.7.16

Die Leitung der PSNV fragte die kath. TS-München an, eine Hotline für die Betroffe­nen des Amoklaufs zu schalten. Nach dem Zugunglück in Bad Aibling wurden mit der Krisenhotline erste Erfahrungen gesammelt. Damals waren bereits 20 Telefonseelsorger/innen zusätzlich in Psychotraumatologie geschult. So war es personell und technisch leicht möglich, diese Hotline so­fort freizuschalten. Bei der Nummer handelt es sich um eine Basisnummer, die an allen Telefonen der Dienststelle aufgeschaltet werden kann. Veröffentlicht wurde die Nummer der Hotline zunächst nur über Twitter durch das Polizeipräsi­dium München. Dennoch läutet ab etwa 18 Uhr das Telefon ununterbrochen, so dass die Anzahl der Mitarbeiter/innen an der Hotline auf fünf erhöht werden musste, um dem Ansturm einiger­maßen begegnen zu können. Oft war es zunächst auch nur möglich, den Namen und die Tele­fonnummer zu notieren, um später zurückzurufen. Die Anrufer/innen beschrieben in aller Regel Veränderungen bei sich selbst oder bei ihnen nahe stehenden Personen, die sie nach den Ereignissen bei sich festgestellt hatten.

Ein großes Thema an den ersten Tagen war auch, dass es für viele undenkbar war, wieder Arbeiten gehen zu können oder in den Alltag zurückzufinden. Psychotraumatologisch stellten viele Anrufende Symptome bei sich oder ande­ren fest, die als akute Belastungsreaktion bezeichnet wird und sehr häufig nach solchen Ereignissen, das verbunden mit subjektiver Todesangst war, auftreten. Hier kam uns zugute, dass wir jüngst schon mal zum Thema geschult hatten, so dass auch unter Zuhilfenahme des Faltblatts „Informationen für Betroffene und Angehörige. Empfehlungen für den Umgang mit belastenden Ereignissen" herausgegeben vom Bundesamt für Bevölkerungs­schutz und Katastrophenhilfe eine adäquate Erste Hilfe für die Seele geleistet werden konnte.

Wichtige Aspekte dabei waren:

  • Normalisierung der Reaktionen (,‚vielen Menschen, die das erlebt haben, geht es ähnlich, das ist ganz normal, in der Regel lassen die Reaktionen innerhalb von einigen Tagen nach")
  • Unterstützung bei Überlegungen, was die Betroffenen für sich selber tun können
  • Unterstützung und Motivieren zur Nutzung des persönlichen sozialen Netzes
  • Bei Bedarf Weitervermittlung an geeignete Einrichtungen, zum Teil an die Notfallseelsorge bzw. das KIT.

Nachdem die Hotline die ersten Tage jeweils von 8 bis 22 Uhr betrieben wurde und die Nachfrage weiterhin hoch blieb, bot Dr. Andreas Müller-Cyran, Leiter der Krisenpastoral, am Dienstag, 26. Juli 2016, nochmals eine Kurzschulung zum Thema Psychotraumatologie und Hotline an. Diese wurde auch auf Video aufgenommen und per Youtube allen Mitarbeiter/innen zur Verfügung gestellt, die nicht dabei sein konnten bzw. etwas nachsehen wollten.

Inhaltlich spannend war noch, dass sich ab Mittwoch/Donnerstag immer mehr Anrufer/innen nochmals meldeten und rückmeldeten, dass wir Recht hatten und sich die Symptome zurück ­entwickelt haben und unsere Empfehlungen zum Umgang damit hilfreich waren. Dies deckt sich mit der zu erwartenden Entwicklung einer akuten Belastungsreaktion, war aber dennoch spannend zu beobachten.

Bis Mittwoch haben wir versucht, immer mit mindestens fünf Mitarbeiter/innen gleichzeitig die Hotline zu bedienen; danach wurde die Nachfrage weniger, sodass wir bis Sonntag 31. Juli auf ein bis zwei Mitarbeiter/innen reduzieren konnten. Ab 1. August lief nur noch eine Ansage, dass wir nur mehr über die normale Nummer der Telefonseelsorge, erreichbar sind.

Fazit:

  • Es war mehr als sinnvoll diese Krisenhotline angeboten zu haben, weil in den sieben Tagen mehr als 500 Gespräche zustande kamen, die alle sinnvoll waren.
  • Es war gut von vorn herein offen gelassen zu haben, wie lange die Hotline läuft, so konnten wir, nachdem kaum noch Anrufe ankamen, ohne weiteres die Hotline auf Ansagebetrieb mit Hinweis auf Telefonseelsorge umschalten.
  • Es war wichtig, Mitarbeiter/innen der Telefonseelsorge vorher schon in Psychotraumatologie und zum Thema Krisen-Hotline geschult zu haben.
  • Mitarbeiter/innen von Telefonseelsorge können mit einer Zusatzschulung ohne weiteres eine solche Hotline besetzen
  • Bei einem hohen Anrufaufkommen sind die Schichten eher kurz zu halten: maximal vier Stunden.
  • Lieber zunächst mit zu vielen Mitarbeiter/innen Dienst tun und reduzieren als umgekehrt.
  • Die Vernetzung zu den anderen Beteiligten im Bereich der PSNV (KIT, Notfallseelsorge, Kommune etc.) ist sowohl im Vorfeld als auch während des Betriebs einer Hotline (rotes Telefon!) wichtig.
  • Alle Mitarbeiter/innen brauchen zu jedem Zeitpunkt alle verfügbaren Informationen.
  • Während des Betriebs der Hotline braucht es Hauptamtliche, die für Entlastungsgespräche zur Verfügung stehen, im Nachgang ist Supervision unerlässlich;
  • Nicht zu unterschätzen ist die öffentliche Wahrnehmung und somit auch die Anzahl der Presseanfragen.
  • Im Rahmen der Telefonseelsorge ist es sinnvoll, dass andere Stellen während der Hotline die Anrufenden der TelefonSeelsorge übernehmen, sodass wir uns ausschließlich auf das Krisentelefon konzentrieren können.
  • Die Telefontechnik muss vorher schon vorhanden sein, sonst dauert es zu lange bis es läuft.

Alexander Fischhold, Auszug aus dem Jahresbericht der kath. TS München. www.telefonseelsorge-muenchen-kath.de 

 

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